Sprache & Kinder
- rahelmeshorerharim
- 27. Jan. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Vor einigen Tagen war ich mit der kleinen Bohne bei meinen Grosseltern. Wir sind auf die Eltern-Kind-Gruppe zu sprechen gekommen, welche ich mit der kleinen Bohne einmal pro Woche besuche und wo sie in einer festen Gruppen mit drei bis vier anderen Kindern ähnlichen Alters die Räumlichkeiten einer Waldorf-Spielgruppe unsicher machen kann. Ein grundlegender Gedanken dabei ist, die Kinder frei spielen und interagieren zu lassen und als Eltern nur zu intervenieren, wenn die Kinder es offensichtlich noch nicht alleine können oder eine gefährliche Situation entstehen könnte.
Mein Grossvater zeigte sich ganz begeistert davon, was mich verwunderte, da dies ansonsten nicht so seinem Naturell entspricht. Er meinte: "Dass Kinder solche Kontakte mit anderen Kindern haben, ist wirklich wichtig - nur so lernen sie schon früh, sich durchzusetzen und sich anzupassen, wie es später nötig sein wird." Nun wären "sich durchsetzen" und "sich anpassen" zwei Aspekte, die mir als letztes - wenn überhaupt - in den Sinn kämen beim Erzählen all der schönen Seiten und Vorteile einer solchen Gruppe.
Die Aussage meines Grossvaters macht im Kontext seiner Generation und noch vielmehr seiner Biografie Sinn. Aber sie hat mich nachdenklich gestimmt. Für mich persönlich sind die Begriffe "durchsetzen" und "anpassen" eher negativ konnotiert, zumal sie sich im Grunde ja auch widersprüchlich zueinander verhalten.
Natürlich wird die kleine Bohne später ein gewisses Mass an Durchsetzungsvermögen und Anpassungsfähigkeit brauchen.
Aber vielleicht liessen sich die Begriffe auch austauschen?
Wäre es nicht gesünder zu sagen - denn Sprache schafft bekanntlich Wirklichkeit (Wittgenstein) -, dass Kinder von klein auf lernen dürfen sollen, "für sich selbst einzustehen" anstatt "sich durchzusetzen"? Und anstatt "sich anzupassen" könnten wir ihnen vermitteln, in sozialen Situationen Rücksicht zu nehmen auf andere Menschen und deren Bedürfnisse, was z.B. auch das eigene Verhalten in der Schule, in einer religiösen Stätte, im Zug, etc. miteinschliesst?
Dass Kinder Konflikte nicht ständig mit Sprache lösen können, sondern auch mal geschubst, geschlagen, aus der Hand gerissen wird, ist klar. (Bemerkung am Rande: Nicht mal "die Grossen" können das offensichtlich, ja sogar noch viel schlechter als manches Kind, wenn man in die Welt schaut.) Ich als Mutter aber möchte, ja muss daran glauben, dass bewusste Sprache wirklich einen Unterschied in der Selbstwahrnehmung und -entwicklung des Kindes machen kann.
Ich glaube, dass mein Grossvater im Grunde etwas ganz Ähnliches wie ich meint, wenn er diese Begriffe verwendet - dass er der kleinen Bohnen, seiner Urenkelin, dieselben Dinge wünscht wie ich. Und dass Sprache auch aus der eigenen Biografie entwächst, und die seine so anders ist als es meine bisher sein durfte. Dennoch hat mich das Gespräch zum Nachdenken gebracht.
Vielleicht braucht es ein neues "Lexikon der pädagogischen Begriffe"? Das Finden anderer Wörter, um unseren Kinder in dieser Welt so dringend gebrauchte sanfte Selbstbilder zu ermöglichen? Sanft mit sich selbst und anderen.

Wobei ich, wenn ich an die kleine Bohne, die anderen Kinder in der Gruppe und deren Zusammensein denke, mich selbst sogleich korrigieren möchte: Womöglich müssen wir einfach nur darauf achten - im Wissen darum, dass dieses "einfach nur" nicht nur einfach ist -, dass wir unseren Kindern diese Sanftheit, das Rücksichtnehmen und für sich Einstehen nicht durch unsere Sprache, durch unser Vorleben und unsere eigenen inneren Bilder wegerziehen.
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