top of page
Suche

zehn Minuten

  • rahelmeshorerharim
  • 27. Jan. 2024
  • 2 Min. Lesezeit

Heute Morgen habe ich im halbdunklen Zimmer gerade meine Kleider für den Tag zusammengesucht, als die kleine Bohne mit einem Buch zu mir kam und dieses zusammen anschauen wollte. Ich sagte zu ihr: "Das machen wir später, ich habe jetzt keine Zeit."


Als wir vorgestern durch einen strahlenden Herbstnachmittag spazierten, betrachtete ich mein friedlich im Wagen schlafendes Kind und entschuldigte mich innerlich bei ihm. Dafür, dass wir es in diese Welt haben kommen lassen, von der ich nicht weiss und mich fürchte, wie sie in 20 Jahren aussehen wird. Ich fühlte mich schuldig und egoistisch, weil ich dieses Kind wollte - aber soll man einen anderen Menschen in diesem Sinne überhaupt "wollen" dürfen? Wenn ich selbst den Weltschmerz schon manchmal kaum mehr aushalten kann, wie mag es der Generation unserer Kinder mal gehen? #regrettingmotherhood mal anders, sozusagen. Die kleine Bohne schlief und ahnte nichts von diesen Gedanken, Gefühlen und Sorgen. Und das soll möglichst lange so bleiben, entschied ich in diesem Moment. Stumm versprach ich ihr eine sogenannte gute Kindheit - oder zumindest das, was ich darunter verstehe und was in unserer Macht steht.


Zugewandtheit und Geborgenheit, Sicherheit und Umgrenzung, so viel Verfügbarkeit und Geduld wie eben möglich. Freiräume schaffen und halten für ihr Wesen, sie so lange wie möglich vor Schablonen und für sie belanglosen Erwartungen anderer behüten. Bewusst da sein. Zusammen spielen, zusammen essen, zusammen kochen, zusammen malen, zusammen schlafen, zusammen draussen sein, zusammen Kastanien sammeln, zusammen lachen, zusammen weinen, zusammen Gefühle aushalten. Zusammen.


Und als Grundvoraussetzung für dies alles: Zeit.


Zurück ins halbdunkle Zimmer heute Morgen. Noch bevor ich den Satz fertig ausgesprochen hatte, erinnerte ich mich an mein Versprechen. Und ich knipste das Nachtlicht an, die kleine Bohne kletterte auf meinen Schoss und wir schauten zusammen das Buch an. Ich dachte an die Kinder in Gaza, die keinen Eltern mehr auf den Schoss klettern können und an die Eltern in Israel, die keinen Kindern mehr ein Buch vorlesen können. Danach machten wir uns zehn Minuten später als geplant auf den Weg.

Zehn Minuten, an die sich die kleine Bohne nicht mehr erinnern wird, aber ich.


Und mein Herz wurde nicht weniger schwer, als es in diesen Tagen ist, aber ein bisschen heller.



 
 
 

Comments


0786057737

  • Facebook
  • Twitter
  • LinkedIn

©2024 Mutterschaf. Erstellt mit Wix.com

bottom of page